„Es geht um die Handlungsfähigkeit der Stadt“

Interview über den Doppelhaushalt 2017/2018 mit Hilde Stolz und Arnulf Weiler-Lorentz, den Gemeinderäten der Bunten Linken. Das Interview führte Adrian Tavaszi.

AT: Am 20. Dezember wurde im Gemeinderat der Doppelhaushalt mit dem bisher größten Volumen verabschiedet. Die Bunte Linke hat als einzige Gemeinderatsgruppe dagegen gestimmt. Wie bewerten Sie die finanzielle Situation der Stadt?

ARNULF WEILER-LORENTZ: Die Situation ist schlechter als es auf den ersten Blick zu sein scheint. Die Neuverschuldung ist insgesamt niedriger ausgefallen als für das Jahr 2016 geplant. Dies ist aber vorwiegend auf die günstigen konjunkturellen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Dass die Neuverschuldung im jetzt beschlossenen Finanzplan bis 2021 um 80% steigen soll, halte ich für eine riskante Entwicklung und für eine unverantwortliche Finanzpolitik.

HILDE STOLZ: Die wesentlichen Erhöhungen gehen auf Großprojekte zurück, wie das Mark Twain Center oder den Umzug des Karlstorbahnhofs, wobei im Doppelhaushalt nicht alle erfasst worden sind. Es muss noch mit Änderungsanträgen im Millionenbereich gerechnet werden. Das neue Konferenzzentrum mit über 60 Millionen € taucht beispielsweise im Haushaltsentwurf noch gar nicht auf, ebenso wenig die Schulden der ausgelagerten Geschäftszweige (GGH, Stadtwerke, Heidelberger Dienste usw.).

AT: Herr Weiler-Lorentz, worin sehen Sie die Risiken der Finanzplanung?

ARNULF WEILER-LORENTZ: Der Haushalt expandiert in einigen Bereichen so sehr, dass keine Rücklagen gebildet werden können. Es wurde kein Konzept vorgelegt zur Reduzierung der Schulden. Da wir zur Zeit praktisch keine Inflation haben, werden diese auch „real“ nicht weniger, wie dies in früheren Zeiten der Fall war. Wenn die Zinsen wieder steigen –  ich erwarte das innerhalb der nächsten fünf Jahre - und die Realwirtschaft mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, könnte die hohen Schulden die Handlungsfähigkeit der Stadt gefährden.

AT: Welche Teile des Haushaltes sind Ihrer Meinung nach unverhältnismäßig groß?

HILDE STOLZ: Der Kulturhaushalt ist bereits sehr hoch, wird aber noch weiter erhöht. Die Kulturförderung geht regelrecht durch die Decke. Die Neuinvestitionen – nicht nur im kulturellen Bereich, aber auch dort - werden zusätzlich zu Investition und zugeordnetem Schuldendienst und hohe jährliche Mehrkosten in Betrieb und Unterhalt verursachen.

AT: Von der SPD wurde ein neues Gesamtkonzept für die Kulturförderung vorgelegt...

HILDE STOLZ: Das Konzept wird erst im Laufe dieses Jahres ausgearbeitet werden. Ob es tatsächlich Einsparungen bringen wird, ist fraglich, denn es ist auf einen Konsens der politischen Parteien und Kulturschaffenden angewiesen. Deshalb ist zu befürchten, dass die Kosten eher steigen werden.

AT: In welche Richtung wünscht sich die Bunte Linke Veränderungen im Kulturbereich?

HILDE STOLZ: Zum einen wird mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht vernünftig umgegangen. Für das geplante Mark Twain Center sind beispielsweise über 2 Millionen Euro eingeplant, das Deutsch-Amerikanische Institut wird mit üppigen jährlichen Zuschüssen von über 700.000 Euro versorgt, das bestehende und seit vielen Jahren erfolgreiche Völkerkundemuseum hingegen wird in eine riskante Lage der Unterfinanzierung gebracht, weil dort für das nächste Jahr mindestens 36.000 Euro fehlen. Im Allgemeinen habe ich den Eindruck, es soll alles nach viel Prestige aussehen und bundesweit ausstrahlen, während die Bedürfnisse der Bevölkerung auf der Strecke bleiben. Anstelle von Leuchtturmprojekten brauchen wir mehr Rückbesinnung auf die Daseinsfürsorge. Ein Blick auf die Einkommensverteilung der Stadtbevölkerung zeigt, dass die Mehrheit der Heidelberger ganz andere Bedürfnisse hat.

AT: Welches sind die Bereiche, die mehr gefördert werden müssten?

ARNULF WEILER-LORENTZ: Ein Beispiel für vernachlässigte städtische Fürsorge ist der stagnierende soziale Wohnungsbau. Mit den Änderungsanträgen wollte die Bunte Linke zunächst einmal fünf, dann jährlich 10 Millionen Euro in den sozialen Wohnungsbau über eine Kapitalerhöhung der Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz bereitstellen. Durch eine moderate Erhöhung der Grundsteuer und der Gewerbesteuer bzw. den Verzicht auf einzelne Großinvestitionen wäre dieser Vorschlag zu gegenfinanzieren.

AT: Was hat die Bunte Linke in ihren Änderungsanträgen sonst noch gefordert?

ARNULF WEILER-LORENTZ: Wir hatten beantragt, dass der Gemeinderat den Entwurf zurückweist und dass die jährliche Neuverschuldung auf 20 Millionen Euro begrenzt. Dies würde dem Grundsatzbeschluss des Gemeinderates aus dem Jahre 2013/14 entsprechen. Darüber hinaus hatten wir vorgeschlagen, dass Investitionen, die mehr al s 15 Millionen € kosten oder jährlich mehr als 600 000 € Folgekosten verursachen, im Rahmen eines Bürgerentscheids beschlossen werden. Wir finden, es steht den Bürgern zu, über kostspielige Projekte, die die Haushaltslage langfristig beeinflussen, selbst zu entscheiden. Die Erfahrungen in anderen Ländern (Schweiz, Bundesstaaten der USA) zeigen, dass die Bürger mit den öffentlichen Mitteln sparsamer umgehen als die Parlamente.

AT: Ihre Änderungsanträge wurden abgelehnt. Welche Vorschläge der Bunten Linken gingen letztlich ein in das gemeinsam verabschiedete Antragspaket?

ARNULF WEILER-LORENTZ: Wir hatten beantragt, dass Maßnahmen die im Abfallwirtschaftsplan vorgesehen sind auch durchgeführt werden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Abfallanalyse, für die jetzt im Haushalt Mittel eingestellt wurden. Wir hätten uns gefreut, wenn die von uns vorgeschlagenen Beratungsstellen Zustimmung gefunden hätten, um die Abfallmenge zu vermindern. Darüber hinaus sind die Mittel erhöht worden für soziale Beratungsarbeit und Prävention: beim Frauennotruf Heidelberg wurde eine halbe Verwaltungsstelle geschaffen und die Gehälter wurden auf das Niveau von 2017 angehoben. Außerdem erhält das Frauenhaus 5.000 Euro für zusätzliche Projekte. Die sind Dinge, die wir auch beantragt hatten. Dasselbe gilt für einen Zuschuss für das Völkerkunde Museum, das sonst in seiner Existenz gefährdet gewesen wäre.

AT: Sie versuchen seit Jahren, Verwaltung und Gemeinderat davon zu überzeugen, dass städtische Grundstücke und Immobilien nicht mehr verkauft, sondern in Erbpacht gegeben werden sollen.

ARNULF WEILER-LORENTZ: Leider mit mäßigem Erfolg. Obwohl die Vorteile von Erbpacht auf der Hand liegen: die Stadt würde Eigentümer bleiben und könnte nach 70 bis 100 Jahren erneut über das Grundstück verfügen. Die Befürchtung, dass deshalb weniger Investoren Gewerbegrundstücke und Privatpersonen Grundstücke für Wohnungsbau nachfragen würden, teile ich nicht. Grundstücke in Heidelberg wären nach wie vor sehr gefragt. Ich fürchte, mit dem Verkauf der Konversionsflächen wird eine historische Chance vertan.

AT: Ich danke Ihnen für das Gespräch!

 

16.01.2017